Die stille Freude von Laura
Heilpädagogisches ReitenEin leiser Ton. Kaum wahrnehmbar, ob Freude oder Unzufriedenheit. Der zarte Körper, gestützt von Gurten, verborgen in wärmendem Stoff, Schicht um Schicht. So stehen sie Seite an Seite, Laura im Rollstuhl, und Stelkur, das älteste und erfahrenste Islandpferd im Stall.
Stille. Geschehen lassen. Bis langsam sich die Hand zum mächtigen Pferdekörper erhebt, ein Büschel Fell flüchtig streift und dann ergreift. Lauras Kopf noch immer versunken auf der Brust, die Augen halb geschlossen. Leise Töne aus der Tiefe. Irgendwann richtet sich auch der Kopf in die Höhe, suchen die Augen, was die Hand fühlt. Und irgendwann wendet Stelkur seine Nüstern zu Laura. Und jetzt ist der Ausdruck der Freude erkennbar, der aus Lauras Kehle kommt und ihr Gesicht überzieht.
Sonja Morgenegg wird später erklären, dass es genau dieser Moment ist, der die Therapie mit Pferden so wertvoll macht.
«In der Begegnung mit Pferden erleben die Kinder, wie viel sie selbst bewirken können», erklärt die erfahrene Therapeutin, «Pferde spiegeln unser Verhalten und dies in unserem Rhythmus.» Pferde werden nicht ungeduldig, wenn es mal länger dauert. Stelkur gibt Laura alle Zeit der Welt. Bis sie bereit ist. Richtet sie den Kopf auf, wendet er sich zu ihr. Und man sieht, wie glücklich sie dabei ist.
Unzählige Kinder sah Sonja Morgenegg in drei Jahrzehnten in den Stall kommen und ihn fröhlich, glücklich, stolz, aufrecht verlassen, um ganz entscheidende Erfahrungen reicher. Es sind kleine Schritte, wie Lauras Hand am Pferderücken, das Wahrnehmen des warmen Körpers, ihr Kopf, der sich aufrichtet. Und grosse. Wenn sie nach einem Jahr Therapie in der Lage ist, während des Ausritts ihren Oberkörper aufzurichten und über die Felder und Wiesen zu schauen. Auf Augenhöhe mit den Begleiterinnen und Begleitern.
Im Stall den Alltag vergessen
Es sind die unterschiedlichsten Biographien, die Kinder in den Reitstall der Blindenschule Zollikofen führen. Kinder aus dem Autismus-Spektrum. Kinder, die im Alltag oft «zu kurz kommen». Schüchterne Kinder, Kinder mit Migrationshintergrund. «Beim Putzen des Pferdes, bei der Vorbereitung zum Ausritt ‚vergessen‘ manche Kinder ihre Beeinträchtigung. Ein Junge nutzte zum Befestigen des Sattels plötzlich beide Hände, während er im Alltag stets nur eine Hand gebraucht.»
Sonja Morgeneggs Augen leuchten bei jedem Kind, an das sie sich erinnert. Ein Mädchen, das kaum ein Wort Deutsch sprach, lernte beim Striegeln, Hufe auskratzen, Ausreiten ganz nebenher die Alltagssprache. Oder die Kinder, die beim Bürsten des Pferdes ihren Körper und den Raum beginnen wahrzunehmen, indem sie ganz grosse Bewegungen machen, um überall das Fell zu erreichen, bis hinunter zu den Hufen.
Hoch zu Ross Selbstvertrauen gewinnen
Auf einem Pferd zu sitzen macht einfach stolz. Und wenn sie stolz sind, entwickeln die Kinder Ressourcen, die sie ihren Alltag vergessen und ihn in Zukunft leichter werden lassen. «Getragen zu werden» hilft ihnen, inneres und äusseres Gleichgewicht zu finden und Selbstvertrauen aufzubauen. Der Gangrhythmus der Islandpferde fördert Gleichgewichts- und Sinneserfahrung. Dadurch lösen sich schmerzvolle Verspannungen und Angstzustände.
Laura selbst hatte erst kürzlich eine Operation mit dem Ziel, ihre Hüftgelenke zu zentrieren. «Das Sitzen auf dem warmen, sich bewegenden Pferderücken unterstützt die Beweglichkeit der Hüfte auf eine Art und Weise, die nicht schmerzt. Und hilft Laura, sich vom Becken über den Rücken bis hin zum Kopf aufzurichten», schildert Sonja Morgenegg einen weiteren Vorteil der Pferdetherapie. Auch wenn Laura es nicht in Worte fassen kann, ein Blick in ihr Gesicht sagt alles. Wie wohl sie sich fühlt. Wenn auch total müde nach dem 20-minütigen Ausritt. Müde und glücklich liegend auf Stelkur, der sich seiner kostbaren Last wohl bewusst ist. Wer weiss, vielleicht sieht Sonja Morgenegg Laura dereinst aus dem Stall hinausgehen.
Das heilpädagogische Reiten ist dank Spenden möglich
Beim Reiten, beim Striegeln und Pflegen des Pferdes und mit den Aufgaben, die in einem Stall anfallen, werden die Kinder und Jugendlichen ganzheitlich angesprochen. Heilpädagogisches Reiten ermöglicht ganz individuelle Therapien und deshalb profitieren Kinder mit den verschiedensten Beeinträchtigungen von diesem speziellen Angebot der Blindenschule Zollikofen.
Das Pferd eignet sich dank seines Wesens besonders als Erziehungspartner für das Kind:
- Es handelt stets ernsthaft, authentisch und geduldig und es trägt nicht nach
- Es strahlt eine natürliche Autorität aus, die das Kind respektvoll akzeptiert
- Es kann die Kinder auf seinem Rücken durch die Natur tragen und ihnen so ein eindrückliches Erlebnis vermiteln
Unsere Therapiepferde
Dürfen wir vorstellen? Die sechs Islandpferde der Blindenschule Zollikofen. Die Therapiepferde sind unterschiedlichen Alters, doch eines ist ihnen gemein: Ruhe und Gelassenheit. Starke Persönlichkeiten zeichnen sie aus, die sie geduldig und tolerant auf die sehr unterschiedlichen Verhalten unserer Kinder reagieren lassen. Schreien, unkontrollierte Bewegungen, Epilepsieanfälle, am Fell Reissen; all dies und mehr kann vorkommen und bringt unsere Pferde nicht aus dem Trab. Im Gegenteil. Sie vermitteln den Kindern Ruhe und Sicherheit, wissen ganz genau, was blosses Ertasten ist und was ein Signal. Und ermöglichen ihnen auf ihrem Rücken und im Stall Erlebnisse, die ihnen sonst verwehrt bleiben. Vielen Dank, dass Sie dies mit Ihrer Spende ermöglichen.